Sportzahnmedizin: auf der Suche nach dem einen Prozent

Sportzahnmedizin: auf der Suche nach dem einen Prozent

  Dr. Michael Passinger     Veröffentlicht: 23. Februar 2020

Spätestens wenn man kurz vor dem Zieleinlauf überholt wurde, die Hawaii-Qualifikation knapp verpasst oder das selbst gesetzte Ziel gerade so verfehlt hat, beginnt sie - die Suche nach dem einem Prozent mehr Leistung. Man denkt zuerst an die Optimierung der Ausrüstung und weniger an das Potential, dass vielleicht noch in einem selber steckt. Genau da setzt die Sportzahnmedizin mit ihrem ganzheitlichen Ansatz an. Viele Profis haben die Vorteile der relativ neuen Sparte der Sportmedizin bereits entdeckt. Unter Breitensportlern gilt sie aber noch immer als Geheimtipp.

Die Erkenntnisse vieler Sportwissenschaftler bestätigen, dass der menschliche Körper ein sehr viel komplexeres, zusammenhängendes Gesamt-System ist, als man es bis jetzt vermutete. Die durch Faszien verbundene Körperteile bilden ab- und aufsteigende Ketten: Kiefer – Nacken – Schulter – Wirbelsäule – Becken – Knie – Fersen. So kann es passieren, dass die nicht behandelte Wurzelkanalentzündung die Ursache der muskulären Probleme in der Wade ist und ein falscher Biss die Heilung der Achillessehne verhindert. Bei näherer Betrachtung verwundert es also nicht, dass zahnmedizinische Maßnahmen die Körperfunktionen in vielerlei Hinsicht positiv oder auch negativ beeinflussen können.

Zahnarzt Praxis

Die Felder auf denen die Sportzahnmedizin hilfreich sein kann sind vielfältig. Für Triathleten ist vor allem die Prophylaxe, also Vermeidung von leistungsmindernden Faktoren, sowie die Steigerung der Performance durch zahnmedizinische Maßnahmen, interessant.

Dass der Körper nicht das volle Potenzial ausschöpfen kann, liegt oft an unentdeckten Entzündungen oder Fehlstellungen im Mundbereich. Viele Faktoren führen zu einer zusätzlichen Belastung des Körpers. Diese können Zahnfleischentzündungen, Karies, nicht durchgebrochene Weisheitszähne, abgestorbene Zähne, Entzündungen des Kieferknochens u.Ä. sein. Das Immunsystem wird geschwächt und der Köper arbeitet gleichzeitig an mehreren Fronten und kann sich nicht auf die sportliche Performance konzentrieren. Die Folge sind schlechte Regeneration, wiederkehrende muskuläre Probleme und ein damit einhergehender Leistungsabfall.

Besonders bei Triathleten trägt der langanhaltende Kontakt der Zähne mit isotonischen Getränken (pH-Wert von 2-3), zur Porosität der Zahnsubstanz bei. Konstantes Zusammenbeißen der Zähne sowie nächtliches Knirschen bewirken, dass die bereits angegriffenen Zähne regelrecht abgeschmirgelt werden. Dies führt zu dem Ergebnis, dass die Schmerzempfindlichkeit steigt, die Lage der Kiefer sich verändert, nächtliche Regeneration nicht stattfinden kann und im schlimmsten Fall akute Zahnschmerzen ausgerechnet in der Trainingswoche vor dem Wettkampf auftreten und eventuell sogar den Start verhindern.

Beim Zähneknirschen treten zum Teil extrem hohe Kräfte auf, mitunter bis zu einer Tonne pro Quadratzentimeter. Dabei wird die gesamte Körpermuskulatur angespannt und so leistet man nachts ungewollt „eine ganze Trainingseinheit“ anstatt zu regenerieren. Mit einer entsprechenden Schienentherapie lässt sich das aber verhindern.

Wer also seine sportliche Performance verbessern möchte, sollte bei der Prophylaxe anfangen. Sind dann alle leistungsmindernden Faktoren beseitigt, sollte man unbedingt auch die Kiefer- und Gebissstellung überprüfen lassen. Ein falscher Biss erzeugt aus neurologischer Sicht einen signifikanten Stresszustand des Körpers und kann mitunter für Fehlstellungen in anderen Bereichen verantwortlich sein. Der Körper versucht nämliche die Kieferfehlstellung auszugleichen. Dies kann zu Verspannungen der Nackenmuskulatur und Blockaden in der Halswirbelsäule und im Schulterbereich führen. Wenn die Spannung sehr groß ist, kann sie sich in Fehlstellungen der Wirbelsäule, des Beckens und der Beine fortsetzten und so erstaunlicherweise z.B. zu Entzündungen der Achillessehne führen oder deren Heilung verhindern.

Der Sportzahnmediziner versucht nicht die Folgen der Fehlstellung auszugleichen, er setzt bei der Ursache für die Probleme an, der Kieferstellung. Nach genauer Vermessung kann ein Arzt z.B. mit Hilfe einer Performance-Schiene die Kiefer wieder in die richtige Position bringen.

Der Biss wird korrigiert, dadurch geht auch die Spannung raus, die Muskulatur wird entlastet und die fehlerhafte Statik der Wirbelsäule oder der Beckenschiefstand werden verbessert. Die Verletzungsanfälligkeit sinkt dadurch signifikant. Gleichzeitig erhöht sich auch die Atemkapazität.

Kann jeder Zahnarzt helfen?

Meistens geht man zu einem Zahnarzt, wenn man Zahnschmerzen hat. Wenn der Arzt aber nicht entsprechend spezialisiert ist, bekommt man eventuell eine Zahnversorgung die zwar schön aussieht, aber die Funktion nicht verbessert bzw. sogar verschlechtert, weil der Kiefer in der falschen Position (ohne Vermessung und Korrektur) fixiert wird.

Als Leistungssportler braucht man aber einen Zahnarzt der funktionsorientiert arbeitet, über eine entsprechende Ausbildung verfügt und einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt. Optimal ist, wenn er selber Bezug zum Sport hat und die Problematik aus eigener Erfahrung kennt.

Wann sollte man zum Sportzahnarzt gehen?

Wenn sich

  • lange Durststrecken ohne sichtbare Verbesserung abzeichnen
  • Anfälligkeit für orthopädische Probleme häufen
  • und selbstverständlich bei Zahnproblemen.

Das Fazit

Viele Probleme kommen tatsächlich „von oben“ und die Zahngesundheit ist für ambitionierte Sportler wesentlich wichtiger als man es vielleicht vermutet hat.

Manchmal fehlt eben ganz wenig, um erfolgreich zu sein.


Der Autor - Dr. Michael Passinger

Als Triathlet ist der Sportzahnarzt Dr. Michael Passinger vor allem auf der Lang- und Mitteldistanz zu Hause. Mit drei Teilnahmen an den Ironman Weltmeisterschaften auf Hawaii und zahlreichen Erfolgen bei Ironman und Ironman 70.3 Rennen zählt er im Triathlon-Sport wahrscheinlich zu den erfolgreichsten praktizierenden Zahnärzten.

Aufgrund seiner Verbindung zum Triathlonsport weiß Michael Passinger um die besonderen (zahnmedizinischen) Bedürfnisse von Triathleten. In seiner Praxis in Langen behandelt er mehrere namenhafte Profitriathleten und betreut einige dieser Athleten in der direkten Vorbereitung auf den Ironman Hawaii. Darüber hinaus steht Michael Passinger als Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sportzahnmedizin im regelmäßigen Austausch mit anderen Sportzahnmedizinern.

Website Dr. Michael Passinger

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